Alena Schröder nimmt sich mit ihrem Roman ‚Bei euch ist es immer so unheimlich still‘ wieder die Besonderheit einer besonderen Zeit vor: das Schweigen. Oder: Was würden denn die Leute denken?
Wenn Schweigen einen Lebensweg bestimmt
Mir ist dieser Satz: Was würden denn die Leute sagen auch sehr geläufig. Nicht, dass ich ihn nutze, aber in meiner Kindheit und Jugend ist mir das häufig untergekommen.
Da wurde lieber der Mantel des Schweigens über eine Sache gebreitet, als dass man etwas Unangenehmes offen kundtat.
In dem neuen Roman von Alena Schröder geht es auch um die Botschaft des Schweigens bzw. des Nichts-Sagens. Bei euch ist es so unheimlich still* ist die Geschichte einer Familie, die an den falschen Stellen zu leise war.
Ich habe dieses Buch zum Geburtstag geschenkt bekommen und war sehr gespannt, ob es mich genauso mitnehmen würde wie das erste Buch der Autorin.
Warum ist es denn so unheimlich still?
Das Buch spielt in zwei verschiedenen Zeiten: In den 50er Jahren und am Ende der 80er Jahre, kurz vor der Wende. Im Laufe des Romans lernen wir, dass das Schweigen und Vertuschen die Familiengeschichte schlimm verändert hat.
Die Geschichte aus der Sicht von Evelyn sind die 50er Jahre. Die 80er Jahre werden aus Sicht von Silvia erzählt.
Evelyns Geschichte und ihr Schweigen
Die Geschichte der 50er Jahre: Evelyn Borowski scheint alles zu haben, wovon eine Frau in der Zeit träumt. Ihre beste Freundin Betti nimmt sie, die keine Familie mehr hat, nach dem Krieg mit zu sich nach Hause, wo sie wie eine eigene Tochter aufgenommen wird. Sie verliebt sich in Bettis Bruder, beendet ihr Medizinstudium, arbeitet als Ärztin. Er ist ebenfalls Arzt, sie bewohnen ein schmuckes Eigenheim, besitzen die von vielen erträumte Einbauküche. Als es endlich auch mit dem ersehnten Kinderwunsch klappt, scheint Evelyn die Erfüllung ihrer Träume geglückt zu sein.
Jedoch stellt sie, die mit den hohen Ansprüchen an sich selbst, bald fest, dass sie eben nicht die geborene Hausfrau und Mutter ist. Sie vermisst ihren Job als Ärztin, auch wenn ihre Stellung dort in den 50er Jahren alles andere als respektiert war.
Das Verhältnis zur Tochter ist von Beginn an schwierig bis zerrüttet. Das Kind ist für sie mehr Projekt als Kind. Am Ende trifft sie nach einem schlimmen Erlebnis eine folgenschwere Entscheidung.
Bettis Part
Betti ist der Rebell der Familie. Sie bleibt unverheiratet und schwärmt für eine Freundin. Sie ist für ihre markigen Sprüche, ihren Alkoholkonsum (der Tag beginnt mit Klosterfraumelissengeist) und ihren rasanten Fahrstil in ihrem roten Wolf bekannt.
Sie ist das Gegenteil von Schweigen und hält der Familie oft den Spiegel vor.
Ihre Nichte Silvia liebt sie abgöttisch und würde alles für sie tun. Dann verschwindet Betti, die offizielle Version lautet, dass sie bei einem Verkehrsunfall verstorben ist.
Die 80er Jahre aus Silvias Sicht
Silvia fühlt sich in ihrer Familie ungeliebt, missverstanden und abgeschoben. Früh flieht sie aus dem Kleinstadtmilieu in das dicke B: nach Berlin, damals noch eine geteilte Stadt.
Als sie Mutter wird und feststellt, dass der Vater des Kindes nicht mit ihr, sondern lieber mit seiner Frau zusammenbleiben möchte, stiehlt sie den VW-Polo ihres WG-Kollegen und fährt/flieht mit dem Neugeborenen, ihrer Tochter Hannah, nach Hause.
Haben sie und ihre Mutter noch eine Chance?
Ablehnung, Annäherung und Wahrheit
Ihre Mutter Evelyn staunt nicht schlecht, als Silvia plötzlich vor der Tür steht. Rauswerfen kann sie sie wohl nicht?
Über das Baby nähern sich die beiden in Zeitlupe an. Als Silvia auf den Friedhof geht, um das Familiengrab zu besuchen, fällt ihr auf, dass ein Stein fehlt: der ihrer Tante Betti. Was hat es damit auf sich? Auf ihre Nachfrage erfolgt zunächst: Schweigen.
Nachdem ihre Mutter das Zusammensein doch immer mehr zu genießen scheint, beginnt sie, ihr altes Leben auszusortieren. Dabei fällt Silvia auf, dass Dinge und Ordner plötzlich verschwinden.
Was hat es damit auf sich? Sie beginnt, eigene Nachforschungen anzustellen. Und was sie dabei zutage führt, das hat es wirklich in sich. Wird sie die ganze Wahrheit erfahren?
Wie mir das Buch gefallen hat
Das Buch von Alena Schröder ist wie ihr erstes Buch ein besonderes Buch. Denn es setzt sich mit vermeintlichen Tabuthemen einer Zeit auseinander, in der es vielen Menschen leichter gefallen ist, ihre Unzulänglichkeiten und Probleme unter den Teppich zu kehren, denn diesen zu klopfen.
Sanft trägt sie Schicht um Schicht in ihrer schönen, aber treffenden Sprache ab. Dabei ist es nicht nur einhornfarbig, sondern es rumpelt auch des Öfteren im Getriebe. Am Ende zeigt sich dann aber, dass viele Dinge leichter zu meistern sind, wenn man darüber spricht anstatt zu schweigen. Auch Akzeptanz und Verzeihen spielen eine Rolle.
Die Thematik gibt es, so glaube ich, immer noch in vielen Familien. Das Buch ist wunderbar geschrieben, sehr einfühlsam und birgt am Ende die eine oder andere Überraschung. Es liest sich gut und ist ein feines Werk.
Wäre das auch ein Roman für dich? Kennst du das Schönfärben oder Verschweigen auch?
Alles Liebe,
Eure Nicole
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Schönfärben und Verschweigen war etwas, was vor allem die Nachkriegsgeneration vermutlich mit der Muttermilch aufgesogen hat. Ist ja in vielen Teilen auch nachvollziehbar. Daher ja, ich kenne das aus meiner Ursprungsfamilie durchaus. Und fand es immer sehr, sehr blöd. Das war dann der Beginn meiner Revoluzzerkarriere ;-)
Nur Menschen, die sprechen, kann geholfen werden. Das ist heute mein Grundsatz. Schweigen ist so herrlich unnütz.
Fazit: Ja, ich könnte mir durchaus vorstellen, dass mir das Buch gefällt.
Liebe Grüße
Fran
Ich kann es mir auch gut vorstellen, dass du es mögen würdest. Der Zusatz zum Schweigen war auch: Was sollen die Leute denken?
Revoluzzer war ich nicht, aber ich spreche. Viel und gern und manchen über mehr. Ich mag echte Gefühle und tiefe Gespräche. Und sich (mich) zu verstellen, das mag ich so mal gar nicht.
Liebe Grüße
Nicole
Ich habe beide Bücher von Alena Schröder gern gelesen. Und hatte auch viel Spaß mit dem „Annegret“ Buch, auch wenn ich (62) mit Tochter (in Berlin) schon immer „auf eigenen Füßen stehe“. Lg Brigitte
Oh, das freut mich. Annegret ist ja auch kein Ratgeber, sondern ein bisschen Satire. Ich mochte das auch. Wir scheinen einen sehr ähnlichen Lesegeschmack zu haben.
Liebe Grüße
Nicole
Schönfärben oder Verschweigen kennt bis zu einem gewissen Grad wohl jeder. Der Schreibstil der Autorin spricht mich allerdings gar nicht an. Ich weiß, dass ihre Bücher Bestseller sind, aber ich habe bei beiden die Leseproben nicht mal zu Ende gelesen, obwohl ich die Themen der Romane super finde. Sie berührt mich mit ihrer Sprache einfach nicht. Auch ihre Kolumnen in der einer Frauenzeitschrift mochte ich nie besonders.
Eine Woche mit Dich positiv berührenden Momenten wünsche ich Dir!
Manchmal ist es tatsächlich so, dass man nicht berührt wird. Ich brauche bei ihr einen Moment, aber dann bin ich dabei.
Hab auch du eine schöne Woche und liebe Grüße
Nicole