KolumneGedanken

Vergebung kann sehr mächtig sein

Vergebung, Verzeihung, Vergessen- ist das alles dasselbe? Immer wieder spürst du ihn, manchmal leicht, manchmal deutlich- dieser giftige Pfeil einer Verletzung, die dir widerfahren ist. Die dich nicht loslässt. Hier kommt sie ins Spiel, die Macht der Vergebung.

Vergebung oder jemandem zu vergeben, das ist wahrhaftig nicht immer leicht.

Was bedeutet Vergebung?

Vergebung ist eine mentale Reaktion auf ein stattgefundenes Fehlverhalten. Dabei ist es unabhängig von Schuld oder Schuldanerkennung. Vergebung bedeutet für mich in erster Linie, dass man sich aus der Opferrolle in die Rolle des Handelnden begibt.

Vergebung ist oftmals ein langwieriger Prozess, der nicht zur Folge haben soll oder muss, dass du ein schlimmes Ereignis vergisst. Du entlässt es lediglich aus deinem Herzen.

Für mich gehe ich soweit zu sagen, dass Vergebung auch nicht verzeihen bedeutet, gerade auch, wenn es etwas wirklich Schlimmes war, was dir passiert ist.

Hat es Folgen für mich, wenn ich nicht vergeben kann?

Vergebung- Warum Vergebung Stärke erfordert aber sehr befreiend ist

Zunächst einmal sehen wir von den sichtbaren und/oder spürbaren Folgen der Verletzung ab. Ja, es hat Folgen. Denn er ist immer da, dieser winzige Stachel der Verletzung und mal mehr, mal weniger bahnt er sich seinen Weg und trägt das Erlebte erneut ans Licht. Du kannst nicht abschließen. Das Schlimme daran ist, dass du so immer wieder erinnert wirst, erneut hinterfragst und traurig bist.

Das Ereignis ist immer präsent und gewinnt Macht über dich. Aber das ist eben nicht richtig- du sollst entscheiden, was dir guttut und nicht ein solches Ereignis die Macht übernehmen lassen. Daher: Ja, es hat Folgen.

Vergebung ist der Schlüssel zum Handeln und zur Freiheit

Hannah Arendt

Wie vergebe ich denn nun?

Vergeben ist eine Reise. Es zu lernen auch. Aber es macht dich am Ende leichter, befreiter und nimmt dir das Attribut ‚Opfer‘. Du wirst aktiv.

Vergeben kann ohne Entschuldigung und Anwesenheit des ‚Täters‘ stattfinden, denn auf diese warten wir manchmal vergeblich, und genauso ist es manchmal zweifelhaft, ob sie Ernst gemeint ist. Vergebung passiert nur mit und in dir selbst- ohne das Zutun anderer.

Ein wenig ist es auch mit loslassen zu vergleichen. Deine Opferrolle wird negiert. Du musst dir sagen: Ich vergebe ABC was er/sie getan hat. Laut vor dir selbst. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass du es gutheißt oder akzeptierst, dass das passiert ist. Du lässt es lediglich gehen.

Dass so etwas nicht immer leicht ist, glaube mir, das weiß ich. Aber es macht hinterher leichter und gibt dir die Kontrolle zurück.

Es bedeutet auch nicht, dass du der Person in Zukunft wertfrei oder unbeschwert gegenüber treten musst oder kannst. Denn das funktioniert nur, wenn diese Person nachweislich ihr Verhalten geändert hat oder sich wirklich entschuldigt. Aber du kannst sie treffen, ohne dass der Stachel an die Oberfläche kommt.

Vergebung führt uns zu Freiheit zurück. Das bedeutet aber nicht, dass sie mit Vergessen gleichzusetzen ist

Vergeben kann auch Trennung bedeuten

Wenn dir jemand sehr weh getan oder dich verletzt hat, so sehr, dass du keinen Umgang mehr mit dieser Person möchtest, so solltest du dennoch versuchen, ihr zu vergeben. Für dich.

Denn sonst bleibt diese Person ewig in deinem Kopf und Herz haften und wenn du ihr begegnest, fühlst du dich mies, durchlebst das Vergangene immer wieder.

Ist eine Situation also so schlimm oder eskaliert, dass du mit der Person nicht mehr zusammensein kannst oder möchtest, dann vergib ihr und lass sie ziehen.

Dann bist du freier und fühlst dich auch freier. Denn du hast diesen kleinen giftigen Stachel bei dir entfernt und bist wieder offener.

Was Vergebung nicht ist:

  • Vergessen: Du sollst nicht vergessen oder negieren, was passiert ist. Du ordnest dem nur für dein persönliches Sein keine Bedeutung (mehr) zu.
  • Nachsicht: Mit dem Täter musst du keine Nachsicht üben (na ja, er konnte ja nichts dafür, weil….). Doch konnte er.
  • Akzeptanz: Ok, ist halt passiert, kann vorkommen… Nein?! Im Prinzip hat niemand das Recht, einem anderen wehzutun. Und du wirst so etwas auch nie akzeptieren. ‚Nur‘ vergeben.
  • Rechtfertigung: Okay, warum musste ich auch an dem Tag das sagen? Du musst dich nie nie nie dafür rechtfertigen, warum jemand anderes dir wehtut. Und jeder sieht und empfindet Verletzung anders.

Du siehst die Grenzen beim Vergeben können verschwimmen. Das sollten sie aber nicht. Für mich ist Vergebung eindeutig: Ich vergebe, lasse ziehen. Aber ich vergesse oft nicht, ich verzeihe auch manches nicht. Aber ich lasse es ziehen und gewähre diesen Dingen in meinem Leben keinen Raum mehr. Klar, das klappt mal besser und mal schlechter, aber es funktioniert.

Warum brauchen wir Vergebung?

Vergebung hat sehr viel mit emotionaler Intelligenz zu tun. Wir brauchen sie, um uns wieder in die Rolle des Handelnden zurückzubringen. Denn wenn du nicht vergibst, bist und bleibst du ein (ungerechtfertigtes) Opfer. Du agierst und reagierst danach und nimmst dir damit deine ganz persönliche Freiheit. Das kannst du nicht wollen.

Außerdem wollen wir ja aus unserem Herzen keine Mördergrube machen, wir wollen dieses eine Leben, was wir haben, doch genießen.

Was passiert nach der Vergebung?

Da gibt es ja ganz unterschiedliche Szenarien:

  • Du hast den Eindruck, derjenige, der dich verletzt hat, bereut es und ändert sein Verhalten (was natürlich die Happy End Lösung ist). Dann nehmt ihr eure Beziehung wieder auf.
  • Du merkst, wie du dich wieder freier bewegen und geben kannst, weil du die Sache für dich geklärt hast.
  • Du weißt, dass derjenige weiter so sein wird (und immer so war) und ziehst einen Schlussstrich unter das Ganze. Das ist die unschönste, aber manchmal notwendige Lösung. Und nichtsdestotrotz bist du frei, weil du vergeben konntest.

Die Konsequenz aus Vergebung sollte immer deiner Erleichterung und auch Freiheit dienen. Deshalb übe zu vergeben. Das ist, wie gesagt, ohne persönlichen Kontakt möglich und es hilft dir, zu alter Stärke zurückzufinden.

Auch wenn ich sehr genau weiß, dass es nicht immer leicht ist.

Vergebung- gar nicht so einfach. Aber sie entfernt das giftige Gefühl aus uns

Die Macht der Vergebung gibt dir die Macht über dein Fühlen

Ist es nicht großartig, wenn du sagen kannst (unabhängig von deinen persönlichen Konsequenzen, die du ziehen wirst): Ich vergebe dir und dann gehst du stolz deines Weges und der Stachel ist ohne Arztbesuch gezogen.

Wie gesagt, es ist nicht immer so einfach und man muss es üben, aber es ist am Ende der Reise zur Vergebung großartig zu wissen, dass niemand die Kontrolle und Macht über dich und deine Gefühle hat.

Ein schönes Zitat dazu:

Heute entscheide ich zu vergeben. Nicht, weil ich gutheiße, was passiert ist- sondern weil meine Seele Frieden verdient

www.einfach-loslassen.de

Wie ist es bei euch? Könnt ihr Vergebung üben? Schaufelt ihr so Gräben zu? Was macht das mit euch?

Give your life a glow,

Eure Nicole

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8 Kommentare

  1. Vergeben und loslassen, schwierig und einfach zugleich liebe Nicole.
    Einfach, weil ich weiß, dass ich bestimmte Dinge in meinem Leben loslassen muss, weiß theoretisch auch wie es geht, weiß, dass es mir danach besser gehen wird, weiß, dass ich vergeben sollte, damit das Leben wieder leicht wird und jeder Moment ein schöner ist.
    Schwierig, weil es bei mir nicht klappt. Ich übe mich im Vergeben und Loslassen und immer dann, wenn ich denke, ja, Du bist auf einem guten Weg, dann gibt es einen klitzekleinen Auslöser und alle schwierigen Gedanken und Verletzungen sind wieder da und ich merke, ich hab alles wieder nur versteckt, vergraben aber nicht vergeben und losgelassen. Und verschwende damit viel wertvolle Zeit. Aber ich bin dran und der Faktor Zeit tut sein Übrigens, der Stachel wird kleiner und verliert allmählich an Macht.
    Schönen Abend für Dich und Grüße
    Sigrid

    1. Ja, das Thema ist komplex, liebe Sigrid. Bei mir ist es so, dass ich vor mir vergebe und die Sache als solche loslasse.
      Aber es stimmt: Bei schwereren Dingen kann es manchmal auch wieder aufreißen.
      Aber allein das sich Bewusstmachen tut schon viel.
      Insofern arbeiten wir einfach weiter dran, damit die Stachel nur noch kitzeln.
      Liebe Grüße
      Nicole

  2. Liebe Nicole,

    was für ein schöner, kraftvoller Blogbeitrag.

    Ich habe ihn gleich nach Erscheinen gelesen, aber mir fehlten noch eine Zeitlang „die Worte“.

    Vergessen und Verzeihen … das geht mit einigen Vorkommnissen für mich nicht, und ich hatte Vergeben quasi immer mit diesen beiden Begriffen gleichgesetzt. Das Zitat von „einfach-loslassen“ ist wirklich sehr schön und war mir auch sehr hilfreich. In etwas abgewandelter Form ist es jetzt auf meinem „moodboard“ eingezogen.

    Vielen Dank für den Gedankenanstoß,
    liebe Grüße von Katrin

    1. Liebe Katrin,
      Ich weiß genau, was du mit Vergessen und Verzeihen meinst- das kann ich auch nicht immer. Und das finde ich ok. Deshalb bestehen da eben für mich auch die Unterschiede. Genau darum finde ich es toll, wie du es für dein Moodboard manifestiert hast. So sehe ich das auch!
      Ich danke dir sehr für deinen schönen Kommentar.
      Liebe Grüße
      Nicole

  3. Ein schwieriges Thema, liebe Nicole.
    Gerade in meinem letzten Beitrag habe ich durch meine aktuelle Lektüre mal wieder konstatiert, dass man aufpassen muss, was man (gerade in Beziehungen) sagt, denn am Ende des Tages kann man es nicht zurücknehmen.
    M.a.W. meine Einstellung ist eher: tu nichts, was irgendwer Dir vergeben müsste und umgekehrt, halte Dich nicht mit Menschen auf, die Dich so sehr verletzen, dass Du ihnen vergeben müsstest.
    Es mag sein, dass Vergeben Göttlich ist, aber ich ich bin sterblich und tue mich schwer damit. Was ich kann, ist mich zu arrangieren. Aber derjenige (und davon gibt es zum Glück wenige, die mir wirklich etwas bedeutet haben), der mich so so verletzt hat, wird mir auch niemals wieder so nah sein wie zuvor.
    Ich persönlich bin z.B. 100% davon überzeugt, dass ein Seitensprung in einer Beziehung zum AUS führen muss, denn selbst wenn ich es im Moment vergeben könnte. Es kommt der Tag, wo das wieder hochkommt…
    Bin da echt streng, ich weiß, aber zum Glück denkt mein Spatzl genau wie ich…
    LG Nicole

    1. Liebe Nicole,
      Danke für diesen intensiven Kommentar. Ich weiß, was du meinst. Auch bei mir ist es so: Ist es zu schlimm, dann gibt es keinen Kontakt mehr. Das kann ich auch nicht. Aber ich vergebe für mich: Denn selbst bei Kontaktabbruch bleibt es sonst zu präsent. Deshalb vergebe ich. Aber nicht vergessen und nicht verzeihen.
      Ich teile deine Auffassungen alle. Für mich habe ich jedoch die Erfahrung gemacht, dass ich freier bin, wenn ich vergebe. Und ich hoffe inständig, dass ich meist so handle wie du. Denn manche Sachen kannst du nicht zurücknehmen.
      Danke dir für den schönen Austausch.
      Liebe Grüße
      Nicole

  4. Wow, wow, wow – was für ein genialer Beitrag, liebe Nicole. Du hast dieses für mich total anspruchsvolle Thema so wunderbar aufbereitet und so wirklich zum Mitfühlen und zum Nachdenken beschrieben. Diese Unterscheidung zwischen Vergeben, Verzeihen und Vergessen ist wohl in dieser Konsequenz nicht wirklich jedem bewusst, obwohl sie doch sicher alle Menschen mehrmals im Leben betrifft. Ich bin ja gerne Mal der Mensch, der verdrängt und zu vergessen versucht – aber das funktioniert halt wirklich nur, wenn man dazu Abstand hat, diese Menschen oder diese Situation nicht wieder trifft, denn ansonsten kommt alles wieder mit voller Wucht hoch und verstärkt sich auch gerne von mal zu mal. Doch es ist dabei genauso wie du sagst, wir sind in der Opferrolle und dieser Mensch oder diese Situation hat dabei Macht über unsere Gefühle und unser Empfinden. Vielen Dank für diesen motivierenden Beitrag.
    Hab einen wunderbaren Abend und alles, alles Liebe

    1. Liebe Gesa,
      Das Verdrängen und Vergessen, das kenne ich auch. Bis das Fass überläuft oder der Schmerz omnipräsent wird!
      Ich danke dir für deine warmen und lieben Worte. Es freut mich immer.
      Hab einen schönen Sommerabend.
      Liebste Grüße
      Nicole

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